Kategorie: Digitale Strategien

  • Digitalisierung ist Kommunikationsautomatisierung

    In meinem ersten Beitrag über die Definition von Digitalisierung in der Fertigung schrieb ich: „Digitalisierung ist die Automatisierung der Informationsprozesse!“. In diesem Beitrag werde ich diese These etwas weiter vertiefen um zu zeigen, was ich damit meine.

    Einteilung in physikalische und informationstechnische Prozessschritte

    Schaut man auf eine Fertigung mit einem Geflecht aus Prozessketten, lassen sich die einzelnen Prozessschritte in zwei Kategorien einteilen. Die erste Kategorie sind informationstechnische Prozessschritte zur reinen Informationsverarbeitung z. B. zum Transformieren von Informationen. Innerhalb eines solchen Prozessschrittes können die Unterschritte wie im Bild dargestellt aussehen.

    Abläufe in einem Prozessschritt zur Informationsbearbeitung

    Die zweite Kategorie sind physikalische Prozessschritte, bei denen z. B. ein Bauteil physikalisch bearbeitet oder transportiert wird. Hier könnte der Ablauf der Unterschritte wie folgt aussehen.

    Abläufe in einem Prozessschritt zur physikalischen Bearbeitung

    Aufgrund der Komplexität von Tätigkeiten in der Fertigung, funktionieren auch physikalische Prozessschritte nicht ohne Informationsverarbeitung. Der Bearbeitende muss erkennen und verstehen, was zu tun ist. Somit finden wir Unterschritte zur Informationsverarbeitung in beiden Kategorien.

    Verschwendung im Informationsprozess erkennen und eliminieren

    In meinem ersten Beitrag erwähnte ich, dass es neben den sieben Arten der Verschwendung in der Leanliteratur auch die Verschwendungsarten nach (Katakana Muda) gibt, die als sofort eliminierbar gelten. Diese sind: Warten, Suchen, Ablegen, Nachdenken, Doppelarbeit und das Stapeln von Teilen. Wendet man Katakana Muda auf die Unterschritte der Prozessschrittkategorie an, sind mindestens zwei Unterschritte eine offensichtliche Verschwendung: „Informationen suchen“ und „Informationen verstehen“. Aber auch beim „Aufnehmen von Informationen“ kann das Warten auf Informationen auftreten, so dass auch hier eine Verschwendung möglich ist. Diese drei identifizierten Verschwendungen können durch Digitalisierung eliminiert oder automatisiert werden um die Effizienz des Prozessschritts zu steigern.

    Unnötige Schritte vollautomatisieren

    Sieht man sich nur die informationstechnischen Prozessschritte an, stellt sich schnell die Frage, ob Arbeitsschritte zur Informationsverarbeitung überhaupt von Menschen durchgeführt werden müssen und nicht durch Automatisierung beschleunigt oder eliminiert werden können. Um unnötiges Nachdenken zu eliminieren sollten Informationen so aufbereitet sein, dass jemand, der mit Informationen arbeitet, diese sofort versteht. Wenn das gelingt, kann man aber gleich darüber nachdenken den Folgeschritt, das Verändern der Informationen (z. B. durch Entscheidung), zu automatisieren. Dies wird nicht überall gelingen, denn es braucht zum Verstehen mancher Informationen viel Erfahrung, die nicht immer automatisiert werden kann. Funktionieren kann eine Automatisierung vor allem dann, wenn es z. B. nur darum geht Informationen so zu verändern, dass diese von der nächsten Station verstanden werden kann. Immer noch werden zu viele digitale Informationen ausgedruckt und wieder abgetippt. Hier bietet sich ein einfacher Einstieg in die Digitalisierung an. Bei der physikalischen Automatisierung sind es auch immer erst die einfachen Schritte die automatisiert werden.

    Die Idee, die Informationsverarbeitung zu automatisieren, ist nicht neu. Die Fertigungsbranche ist nur etwas spät dran. In der Medizinbranche ist automatisierte Kommunikation etabliert. Im Bürobereich sowieso. Hier fasst man die Themen unter anderem mit dem Begriff Kommunikationsautomatisierung zusammen.

    Die Prozessschritte als Bewertungsgrundlage

    Was an dem Thema interessant ist, ist die Frage, wie sich die skizzierten Unterschritte zeitlich auf realexistierende Prozessschritte verteilen. Es gibt physikalische Tätigkeiten bei denen Mitarbeiter länger mit der Informationsverarbeitung als mit der eigentlichen Handlung beschäftigt sind. Die Frage ist, in welchen Unterschritten sie sich besonders lange aufhalten. Das Schema kann dann Grundlage für ein Benchmark zur Effizienzsteigerung und auch Grundlage einer ROI-Rechnung sein.

  • Sind Digitalisierungsfunktionen einer Maschine bald wichtiger als ihre Kernfunktionen?

    Vor einiger Zeit nahm ich an einer Veranstaltung des Production Innovations Network (PIN) teil. In einer Vortragssession kam es dabei zu einer Diskussion zwischen meinem damaligen Professor und einem Veranstaltungsteilnehmer aus Palo Alto. Mein Professor war der Meinung, dass es unabhängig der Digitalisierung immer noch darauf ankomme, dass die Maschine ordentlich fertigt. Der Veranstaltungsteilnehmer sah das anders. Er vertrat die Ansicht, dass irgendwann, auch bei der Maschine, die Digitalisierungsfunktionen DAS Kaufargument für den Kunden darstellen würden. Die Auseinandersetzung ist mir im Kopf geblieben und verleitet mich dazu, der Frage nachzugehen. Kann es wirklich soweit kommen, dass ein Kunde eine Maschine nur noch wegen seiner Software kauft, selbst wenn sie Kernfunktionen, wie das eigentliche Fertigen, nicht mehr hinreichend erfüllt?  Tatsächlich gibt es eine Produktgruppe, bei der ein solcher Wandel stattgefunden hat. Und wir alle haben diesen Wandel mitgemacht.

    Messagingdienste ersetzen das Telefonieren beim Handy

    Wann hatte Ihr Handy das letzte Mal keinen Empfang? Heute? Gestern? Die Empfangs- und Sendeleistung unserer Smartphones lässt oft zu wünschen übrig und kann in Randgebieten lästig sein. Von meinem alten Nokia 6110 (von dem mir viele Menschen sagen, es sei das beste Handy aller Zeiten gewesen), kannte ich so häufige Netzausfälle nicht und dass, obwohl zur damaligen Zeit die Netzdichte der Provider geringer war. Dazu hielt der Akku wesentlich länger. Ein bis zwei Wochen waren Standard. Heute bin ich froh, wenn ich mit dem Akku über den Tag komme. Die Sprachqualität war auch besser (bilde ich mir jedenfalls ein). Empfangsstärke, Akkulaufzeit und Sprachqualität galten damals als Kernmerkmale für Handys.

    Und heute? Wenn ich den damaligen Bewertungsstandard auf mein Smartphone anwende müsste, würde ich sagen: Ich habe mir ein schlechtes Telefon gekauft, das nicht mal die grundlegenden Kriterien erfüllt. Aber Kameraqualität und Speichergröße sind mir heute wichtiger. Sind die fehlenden Grundfunktionen schlimm? Nicht zwingend. Mein Handy kann ich heute überall laden. Wenn ich kein Netz habe, ist das nächste WLAN nicht weit. Aber am Wichtigsten ist: Messagingdienste haben an vielen Stellen den Telefonanruf ersetzt. Die Digitalisierung macht damit DIE Kernfunktion eines klassischen Handys ein Stück weit obsolet.

    Kann das bei der Werkzeugmaschine auch passieren? Durch Digitalisierung allein fällt schließlich noch kein Span vom Rohteil ab. Vermutlich werden daher in unserer Branche die Kernfunktionen einer Maschine weiterhin eine wichtige Rolle spielen – allerdings im Einklang mit den Digitalisierungsfunktionen. Auch dafür gibt es ein gutes Beispiel.

    Infotainment ist ein entscheidendes Kriterium beim Autokauf

    Ein Produkt, bei dem sich das Kaufverhalten durch Digitalisierung ebenfalls verändert hat, ist das Auto. Nachfolgend blenden wir einmal aus, dass beim Autokauf auch die Emotion eine große Rolle spielt. Das Infotainment ist, als Entscheidungskriterium, heute gleichwertig gegenüber den Kernkriterien eines Autos, wie Leistung oder Verbrauch. Das Gesamtpaket bildet die Entscheidungsgrundlage. Allerdings können Digitalisierungsfunktionen ein K.O.-Kriterium darstellen. Es gibt Kunden, die ein bestimmtes Modell, das in seinen Kernfunktionen völlig solide ist, aufgrund schlechter oder sogar fehlender Infotainmentfunktionen nicht kaufen. Dass aber die Digitalisierungsfunktionen allein als Entscheidungsgrundlage dienen ist unwahrscheinlich. Am Ende braucht es immer noch einen Motor, der die Räder dreht.

    Eine gleiche Entwicklung sehe ich für die Produkte im Maschinenbau. Kernfunktionen spielen weiter eine wichtige Rolle. Sind beim Maschinenkauf zwei Produkte in ihren Kernfunktionen gleichwertig, kann Digitalisierung zunächst das Zünglein an der Waage sein. Insgesamt entscheidet aber das Gesamtpaket. Dass alle Hersteller in den Kernfunktionen gleich gut sind und ich nur noch auf Digitalisierung achten muss, ist noch lange nicht in Sicht. Dazu gibt es im Maschinenbau zu viele Spezialisierungsrichtungen. Digitalisierungsfunktionen als K.O.-Kriterium sehe ich bereits heute, z. B. bei Maschinen die keine Möglichkeiten zur Konnektivität bieten.  

  • Was bringt Digitalisierung in der Fertigung?

     „Kennen Sie die Definition von Zeit? Nein? Sie wissen aber, wofür Zeit wichtig ist und was man damit macht? Warum fragen Sie dann nach einer Definition von Industrie 4.0?“ Das ist die Antwort, die ich gern gegeben habe, wenn ich bei einem meiner Vorträge nach einer Definition für Industrie 4.0 gefragt wurde. Ich halte nichts von Definitionen und bin der Meinung, dass man sehr gut ohne sie auskommt. Dass mir die Frage das letzte Mal gestellt wurde, ist schon eine Weile her, denn der Begriff wurde in der Branche weitgehend durch „Digitalisierung“ ersetzt. Hier fragt keiner mehr nach Definitionen. Aber die Frage nach dem Sinn, gerade in der Produktion, wird hin und wieder gestellt und gibt mir Anlass, meine Sicht der Dinge zu schildern. (Eine Zusammenfassung des Textes findet ihr im Video.)

    Eine Kurzzusammenfassung des Textes findet ihr in diesem Video.

    Digitalisierung ist für mich ein neuer Lösungsweg für vier alte Probleme, nämlich für Zeit-, Kosten-, Qualitäts- und Komplexitätsdruck, Probleme die die produzierenden Unternehmer seit Beginn der Industrialisierung haben. Digitalisierung KANN als Hilfsmittel dazu beitragen diese Probleme zu bewältigen. Wie das passiert, hängt von der methodischen Vorgehensweise ab, die einzelnen Prozesse im Unternehmen zu optimieren.

    Digitalisierung unterstützt die schlanke Produktion

    „Lean Manufacturing“ beispielsweise, setzt unter anderem auf die Eliminierung der sieben Arten der Verschwendung, die im japanischen „Muda“ genannt werden: Zu diesen Arten zählen Transport, Bestände, Bewegung, Warten, Überproduktion, Überbearbeitung und Nacharbeit bzw. Ausschuss. Zudem gibt es in der Leanliteratur Verschwendungsarten nach (Katakana Muda), die als sofort eliminierbar gelten. Diese sind: Warten, Suchen, Ablegen, Nachdenken, Doppelarbeit und das Stapeln von Teilen. Solche Verschwendungen in der Fertigung zu identifizieren ist die tägliche Aufgabe von LEAN- oder KVP-Managern, intern wie extern. Ist eine solche Verschwendung in einem Prozess identifiziert, wird nach einer geeigneten Methode gesucht, um diese zu eliminieren. Dazu gibt es zahlreiche organisatorische und technische Hilfsmittel wie Layoutänderungen, Reihenfolgeregeln, Farbcodes, Montagehilfen, Kanbanbehälter und vieles mehr. Genau hier bietet Digitalisierung weitere Optionen und das je nach Problemfall in einer anderen Ausprägung. Ein guter Digitalisierer ist aus meiner Sicht also ein Lean- oder KVP-Manager, der sich der Lösungsmöglichkeiten durch Digitalisierung für seine Problemfälle bewusst ist.

    Digitalisierung ist die Automatisierung der Informationsprozesse

    Ihren Vorteil spielt die Digitalisierung als Lösungsmittel vor allem dann aus, wenn man bedenkt, dass es in einer Prozesskette, eine ganze Reihe nicht physischer Prozesse gibt, die sich nur mit der Informationsverarbeitung beschäftigen. Sie werden in der Regel genutzt um die physischen Prozesse (zum Beispiel vor dem Rüsten) einzuleiten oder (durch Dokumentation) abzuschließen. Genau in diesen, oft lästigen, Informationsprozessen liegt riesiges Potential zur Eliminierung von Verschwendung. Ich habe Menschen in der Fertigung gesehen, die mehr Zeit damit verbringen Informationen zu suchen, zu verstehen oder zu erzeugen, als mit der eigentlichen Tätigkeit, für die sie ausgebildet worden sind. Besonders verwundernd ist es, dass zum Beispiel Werker dabei die Inhalte von ausgedruckten Zetteln in die Maschine eintippen, die ohnehin irgendwo schon einmal digital vorlagen. Das dieses händische Übertragen von Informationen ein häufiger Nährboden für Fehler ist, versteht sich von selbst. Genau in solchen Fällen kann die Digitalisierung helfen. Sie nimmt den Werkern und allen anderen Mitarbeitern die Informationsprozesse ab, beschleunigt diese und reduziert Fehler.

    Das Ganze funktioniert aber nur dann, wenn auch wirklich eine Verschwendung vorliegt. Es auch gibt zahlreiche Prozessketten, die durch die Einführung von Digitalisierung erheblich verlangsamt wurden. Rationalität und gesunder Menschenverstand sind hier gefragt, um ein Gegengewicht zur Euphorie und zur Technikverliebtheit zu bilden.

    Digitalisierung und Automatisierung

    Mancher wird sich nach dem oberen Absatz denken: „Alles gut und schön, aber was ist zum Beispiel mit den kollaborativen Robotern?“

    Automatisierung und Digitalisierung gehen heute oft einher, aber sie gehören nicht zwingend zusammen. Man könnte in einem Unternehmen alle informatorischen Prozesse durch Digitalisierung automatisieren, selbst wenn es sich um eine reine Manufaktur handelt, in der ein Produkt in reiner Handarbeit gefertigt wird. Auf der anderen Seite gibt es auch immer noch Automatisierungslösungen, die völlig ohne Digitalisierung auskommen und rein mechanischer Natur sind. Zugegeben, solche Lösungen findet man heute nicht mehr allzu oft, aber es gibt sie und es gab sie vor allem zu Beginn der industriellen Revolution!

    Automatisierung (und jetzt sprechen wir wirklich von der Automatisierung physischer Prozesse) war in der Vergangenheit etwas für Großunternehmen, die ein Produkt in großer Stückzahl herstellen. Das Konfigurieren z. B. von Robotern war zu aufwändig und in Verbindung mit den hohen Anschaffungskosten zu teuer für mittelständische Unternehmen mit Kleinserien- oder Einzelteilfertigung.

    Aber auch hier sorgt die Digitalisierung für einen Vorstoß: Einerseits werden die Kosten für Hardwarekomponenten reduziert, was zum Beispiel Roboter erschwinglich macht. Das hat aber nicht zwingend etwas mit der Digitalisierung in der Fertigung, sondern mit der allgemeinen Digitalisierung in allen Lebensbereichen zu tun. Andererseits ist auch das Konfigurieren von Automatisierungsanlagen ein Prozess, bei dem es um das Übertragen von Informationen geht. Somit sorgt die Digitalisierung durch die Automatisierung des Informationsprozesses auch hier dafür, dass das Einrichten von Robotern leichter und damit auch für Kleinserien oder Individualprodukte wirtschaftlich wird. Dabei darf nicht hart zwischen „automatisiert“ und „nicht automatisiert“ unterschieden werden. Auch die Vereinfachung eines Informationsprozesses zum Beispiel durch einfachere Bedienung trägt erheblich zur Effizienzsteigerung bei. Und das ist bei der gestiegenen Komplexität der Geräte auch bitter nötig. Man stelle sich vor, man würde alles, was heute mit einem iPad machbar ist, über die Kommandozeile von MS-DOS bedienen müssen.